Nach gut einem Jahr Anerkennungsgesetz stellte die Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Neckar eine erste Bilanz zur Gleichstellung von im Ausland erworbenen Bildungsabschlüssen vor. „Die ersten positiven Bescheide sind erteilt, die Infrastruktur zur Beratung und Anerkennung aufgebaut und somit der Einstieg in die neue Gesetzespraxis erfolgreich geschafft worden,“ sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Axel Nitschke. „Bei der Zahl der Antragsteller vermuten wir aber bundesweit und auch in unserem IHK-Bezirk noch ein großes Potential, das bislang noch nicht ausgeschöpft sein dürfte. Das Instrument ist sehr wichtig, um gut ausgebildete Fachkräfte für die hiesige Wirtschaft zu qualifizieren und zu halten“, so Nitschke weiter.
Im IHK-Bezirk Rhein-Neckar wurden seit dem 1. April 2012 insgesamt 56 Anträge gestellt. Von diesen wurden 23 abschließend bearbeitet; in 18 Fällen wurde eine volle Gleichwertigkeit mit deutschen Berufen attestiert, in 5 Fällen wurde eine teilweise Gleichwertigkeit festgestellt und eine entsprechende Weiterbildung empfohlen. Diesen Anträgen gingen seitens der IHK 120 persönliche Beratungsgespräche voraus. „Hinter jedem steht ein persönlicher Lebenslauflauf, manchmal ein Schicksal, immer Mut und der Wille etwas zu ändern, um hier erfolgreich zu sein“, sagte Nitschke und „deshalb freut es uns auch besonders, heute mit Siarhei Litmanovich einen der ersten Erfolgreichen vorzustellen, der seine in Weißrussland erworbene Qualifikationen im Beruf nun als Industriemechaniker in Deutschland attestiert bekommen hat.“
Deutschland und die Metropolregion brauchen qualifizierte Fachkräfte sowohl in den gewerblich-technischen als auch in den kaufmännischen Ausbildungsberufen. „In unserer Region kämpfen vor allem mittelständische Betriebe sowie die ländlichen Bereiche heute schon mit alternden Belegschaften und der schwierigen Lage am Ausbildungsmarkt“, sagte Nitschke. Gleichzeitig leben in Deutschland heute 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Davon haben rund 3 Millionen ihren Abschluss im Ausland erworben.
Nach Berechnungen der Bundesregierung werden davon rund 300.000 unterhalb ihres Qualifikationsniveaus beschäftigt. „Der berühmten Taxifahrer, der in Indien Medizin studiert hat, ist uns zwar noch nicht begegnet“, so Nitschke weiter „aber hinter den bei uns bisher anerkannten 18 Fällen stehen Fachkräfte, von denen jede oder jeder einzelne für die hiesige Wirtschaft von großem Wert.“ Das sieht Siarhei Litmanovich genauso. „Auch wenn ich bisher noch nicht direkt als Industriemechaniker einsteigen konnte, so plane ich doch nun berufsbegleitend meine Weiterbildung zum Meister und bin mir sicher, dass ich damit alle Chancen für den weiteren beruflichen Erfolg hier in der Region haben werde“.
„Das Potenzial ist also vorhanden, es fehlt aber noch an Informationen sowohl bei den hier lebenden Ausländern als auch im Ausland selbst. Es gilt auf der einen Seite, mehr über die Chancen der Anerkennung in Deutschland, die dieses Gesetz nun bietet, zu berichten. Denn den Unternehmen wird auf der anderen Seite durch das Berufsqualifizierungsgesetz (BQFG) die Möglichkeit gegeben, ausländische Qualifikationen besser einzuschätzen“, so Nitschke. Vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen fehlen bisher verlässliche Informationen, wie die ausländischen Berufsabschlüsse zu bewerten sind, vor allem wenn sie beispielsweise keine Erfahrung im internationalen Geschäft haben.
Zur Umsetzung des Gesetzes hatten 77 der 80 Industrie- und Handelskammern im Frühjahr 2012 die IHK-FOSA gegründet. Diese ist zentrale Stelle für die Bereiche Industrie und Handel und sitzt als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Nürnberg. „Die FOSA gewährleistet ein einheitliches und effizientes Verfahren mit hohen Qualitätsstandards bei der Feststellung der Gleichwertigkeit und wir als IHK sind Ansprechpartner vor Ort“, beschreibt Sabrina Strohfeldt, die Anerkennungsexpertin in der IHK-Rhein-Neckar, die Aufgabenstellung. Das Verfahren ist klar geregelt und geht von der Beratung bei der IHK vor Ort bis zur schriftlichen Antragstellung über die Webseite der FOSA (www.ihk-fosa.de). Rund 130 Referenzberufe sind derzeit im Blick der Prüfer. Sie verteilen sich hauptsächlich auf die kaufmännischen sowie auf die Metall- und Elektroberufe. Die Antragsteller kommen aus fast 100 Ländern der Welt, besonderes vertreten ist Polen, die Türkei und Russland. Die meisten Anträge stammen aus europäischen Ländern inklusive Russland gefolgt von Asien inklusive Türkei, Afrika, Amerika und Australien.