Die Bayerische Staatsoper zeigt die von Friedrich Cerha vollendete Version. „Was Lulu betrifft, war für mich immer klar: Wenn ich diese Oper mache, kommt nur die von Friedrich Cerha vervollständigte dreiaktige Fassung in Frage. Nur hier fügen sich die Proportionen von Handlung und Musik zu einem schlüssigen Gesamteindruck“, so Kirill Petrenko.
Dmitri Tcherniakov arbeitet nach Mussorgskys Chowanschtschina (März 2007), Poulencs Dialogues des Carmélites (März 2010) und Verdis Simon Boccanegra (Juni 2013) bereits zum vierten Mal an der Bayerischen Staatsoper. Ins Zentrum seiner Interpretation stellt der Regisseur die Beziehung zwischen Lulu und Dr. Schön. Es ist die Beziehung zweier Menschen, die auf verschiedenen biografischen Wegen zusammengefunden haben und nicht mehr voneinander loskommen. Lulu, die Kindfrau und Femme fatale zugleich ist, und ihr wesentlich älterer Ersatzvater und Dauerliebhaber sind gedanklich und körperlich aufeinander fixiert: Ihre Entwicklung geht von einer großen Zuneigung über ein ohnmächtiges Einander-Verfallen-Sein bis hin zur sadistischen Zerstörung.
Diese gegenseitige Obsession, die tödlich endet, wird in knapp zwei Dutzend Kammern oder Zellen der gläsernen Bühnenbildkonstruktion durch andere Paare vervielfältigt und gespiegelt. Lichteffekte auf den vielen Glasscheiben erlauben einerseits Durchblicke und erschweren andererseits mit Blendung das Erkennen. Die Wege von einem Kabinett zum anderen sind oft labyrinthisch verschlungen.
Tcherniakov verfolgt einen sehr realistischen psychologischen Ansatz und arbeitet insbesondere die Motivation der Protagonisten in sehr subtilen und oft überraschenden Details heraus. Die – im Libretto nur in Andeutungen erwähnte – schwierige Kindheit Lulus wird hierbei stets mitgedacht. Tcherniakov stellt Lulu folglich nicht als rein männermordenden Vamp dar.
Die Besetzung
In der Titelpartie kehrt Marlis Petersen an die Bayerische Staatsoper zurück. Die deutsche Sopranistin sang hier zuletzt einen Liederabend bei den Festspielen 2014. Die Münchner Produktion wird ihre weltweit neunte Lulu-Premiere sein, im Herbst folgt eine weitere Neuproduktion an der New Yorker Metropolitan Opera. Auch Marlis Petersen sieht in Lulu keineswegs nur die Femme fatale: „Wir müssen uns vorstellen, dass sie zwischen 15 und 18 Jahre alt ist, aber dass sie bei aller Unerfahrenheit eine Sache wirklich kennt – eine Sexualität, die für sie so natürlich ist wie Essen und Trinken. Ansonsten ist sie eine unfertige Persönlichkeit, bis sie sich zum ersten Mal definiert, im Lied der Lulu. Danach geht es allerdings nur noch bergab mit ihr.“
Werk und Münchner Rezeptionsgeschichte
Das zweiteilige Drama Lulu von Frank Wedekind, bestehend aus den Teilen Erdgeist und Die
Büchse der Pandora, hat Berg kongenial verdichtet und sich damit eine streng symmetrische Form geschaffen, die er in seiner Musik aufgreift. Bei aller Konstruktion – natürlich gründet sich Bergs Partitur auf eine einzige Zwölftonreihe – ist diese Musik von großer dramatischer Unmittelbarkeit. Die Oper hat einen langen Entstehungsprozess, Berg hat von Mitte der 1920er Jahre an bis zu seinem Tod 1935 daran gearbeitet. Der Komponist hat sie nicht bis ins letzte Detail fertiggestellt, der 3. Akt ist nur in einem Particell, einer Art kompositorischer Kurzschrift, überliefert, die Struktur aber komplett angelegt. Die Uraufführung der unvollendeten Oper als Fragment fand 1937 am Stadttheater Zürich statt. Erst Ende der 1970er Jahre hat der österreichische Komponist Friedrich Cerha den dritten Akt fertig orchestriert.
An der Bayerischen Staatsoper wurde Lulu erstmals 1967 inszeniert. Zu den Opernfestspielen 1985 erarbeitete Jean-Pierre Ponnelle eine weitere Neuproduktion, es dirigierte Friedrich Cerha. Die letzte Inszenierung von Lulu erarbeitete David Alden 2004, die musikalische Leitung hatte Michael Boder inne.
Weitere Infos erhalten Sie unter: www.staatsoper.de