Wir leben in Räumen voller Dinge. Bücher, Tassen, Decken, Bilder. Die meisten davon nehmen wir kaum bewusst wahr. Sie sind einfach da – funktional, dekorativ, vertraut. Aber manchmal, wenn man innehält, sich hinsetzt und schaut, erkennt man: Da steckt eine Geschichte drin. Und plötzlich wird aus einem alten Schlüsselbund ein Stück Kindheit. Aus einer Vase ein Abschied. Aus einem Tisch ein Neubeginn. Ich habe mich hingesetzt und in meiner Wohnung fünf Gegenstände angesehen. Nur angesehen. Und dann zugehört, was sie mir erzählen wollten.
Die abgenutzte Tasse mit der blauen Kante
Sie steht ganz hinten im Schrank, fast schon vergessen. Kein Designerstück, kein Schnäppchen vom Flohmarkt – einfach nur alt. Ich habe sie aus dem Sommerhaus meiner Großeltern mitgenommen, als wir es endgültig leergeräumt haben. Darin trank mein Opa immer seinen Mokka, stark und süß, mit einem Löffel voll Geschichte. Heute trinke ich selten daraus. Aber wenn ich es tue, dann schmeckt der Tee irgendwie nach Waldluft, nach Kindheit, nach stillen Nachmittagen auf der Veranda.
Der zerkratzte Schlüsselanhänger aus Holz
Ein kleiner Fisch, geschnitzt, mit verblichenen Farben. Ich habe ihn auf einer Reise nach Griechenland gekauft, mit 18. Damals war ich zum ersten Mal allein unterwegs – jung, suchend, frei. Dieser Schlüsselanhänger hat mich durch zehn Wohnungen begleitet. Er hat alle Wendepunkte mitgemacht: erste Liebe, erste Trennung, Studienabbruch, Neustart, Umzug. Er ist kein Accessoire, sondern ein stiller Zeuge. Er erinnert mich daran, dass ich immer wieder aufgebrochen bin – und immer irgendwo angekommen bin.
Das eingerahmte Foto mit dem schiefen Lächeln
Darauf bin ich zu sehen, mit meiner besten Freundin. Wir waren jung, verliebt ins Leben, und voller Ideen, wer wir mal sein wollten. Heute leben wir in verschiedenen Städten, führen unterschiedliche Leben. Aber das Lächeln auf dem Foto, halb albern, halb tief – das trägt alles in sich: unsere Gespräche bis drei Uhr morgens, unsere Pläne, unsere Irrwege. Es hängt nicht nur da, es hält fest, was war. Und es erinnert mich, dass echte Freundschaften nicht täglich gepflegt werden müssen – sondern im Herzen wohnen.
Die zerlesene Ausgabe von „Der Kleine Prinz“
Der Buchrücken ist gebrochen, Seiten lösen sich. Ich weiß nicht, wie oft ich es gelesen habe. Als Kind, weil es süß war. Als Teenager, weil es traurig war. Als Erwachsene, weil es wahr ist. Dieses Buch liegt immer in meiner Nähe. Nicht als Dekoration, sondern wie ein stiller Freund. Es ist mein emotionaler Kompass. Wenn ich mich verliere in zu viel Lärm, zu viel Tempo, zu viel Außen, dann lese ich ein paar Zeilen. Und alles wird wieder ein bisschen weicher.
Die Decke mit dem Fleck
Ja, genau die. Die graue Sofadecke mit dem kaum sichtbaren Kakaofleck, den ich nie ganz rausbekommen habe. Ich wollte sie mal ersetzen – gegen eine neue, flauschigere, schönere. Habe es nie getan. Weil diese Decke so viele Abende kennt: Serienmarathons, Liebeskummer, Glücksmomente, kalte Wintertage, müde Sonntage. Und weil der Fleck von einem Abend stammt, an dem ich mit einer guten Freundin auf dem Sofa saß, gelacht habe, geweint habe, und der Kakao verschüttet wurde, als wir uns umarmt haben. Der Fleck stört nicht. Er gehört zur Geschichte.
Dinge sind nicht nur Dinge. Sie sind Speicher.
Sie tragen Gefühle, Erinnerungen, Begegnungen. Und vielleicht lohnt es sich, manchmal ganz bewusst hinzusehen. Nicht, um auszumisten. Sondern um zu entdecken. Um sich selbst wieder ein Stück näher zu kommen – über eine Tasse, ein Buch, ein Stück Holz. Denn unser Zuhause ist nicht das, was im Katalog steht. Es ist das, was wir mit Bedeutung füllen.