Es ist schwer, sich ein Leben ohne Social Media vorzustellen. Wir teilen unser Frühstück, unsere Urlaubsziele, unsere Gedanken. Wir wissen, was unsere Schulfreunde von früher heute essen, wie unsere Nachbarin ihren Hund nennt, und wir kennen das Lieblingscafé eines Influencers auf Bali. Alles ist sichtbar, alles ist geteilt, alles ist vernetzt. Aber was passiert, wenn man sich dieser allgegenwärtigen Öffentlichkeit entzieht?
Ich habe mich auf die Suche nach Menschen gemacht, die bewusst ohne Social Media leben. Keine Reels, keine Stories, keine Likes. Kein Instagram, kein Facebook, kein TikTok. Nicht einmal LinkedIn. Menschen, die in einer Welt voller Hashtags ihren ganz eigenen Lebensrhythmus gefunden haben – offline.
Lena, 33 – Kunsthandwerkerin aus der Uckermark
Lena wohnt in einem alten, renovierten Bauernhaus, irgendwo zwischen Feldern und stillen Alleen. Ihre Hände sind voller Farbe, ihre Augen ruhig und wach. „Ich hatte früher Instagram“, erzählt sie. „Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mehr Zeit damit verbracht habe, über mein Leben nachzudenken, als es wirklich zu leben.“ Heute verkauft sie ihre Töpferwaren über kleine Märkte, per Telefon und mit der Hilfe von Freunden. Kein Online-Shop, keine Followerzahlen. „Ich habe wieder gelernt, Menschen direkt anzusehen“, sagt sie. „Das ist so viel ehrlicher als ein Kommentar unter einem Bild.“
Niko, 41 – IT-Berater und Digitalverweigerer
Ein Widerspruch? Nicht für Niko. Er arbeitet im IT-Sicherheitsbereich, hat aber seit 2018 keinen einzigen Social-Media-Account mehr. „Das ist mein persönliches Statement gegen die totale Vernetzung“, sagt er. „Ich will meine Aufmerksamkeit nicht verkaufen.“ Seine Kontakte laufen über E-Mail und persönliche Gespräche. Er liest viel, schreibt Tagebuch, führt analoge Kalender. „Der größte Luxus heute ist nicht Geld. Es ist Unabhängigkeit vom digitalen Dauerfeuer.“
Anna und Paul, Anfang 30 – Familie mit zwei Kindern
Dieses Paar lebt in einem kleinen Ort in Bayern. Beide waren früher sehr aktiv auf Social Media – bis zur Geburt ihres ersten Kindes. „Plötzlich hat sich alles verändert“, sagt Paul. „Wir wollten nicht, dass unser Kind mit einem digitalen Fußabdruck aufwächst, den es sich nie ausgesucht hat.“ Heute dokumentieren sie ihre Familienmomente in handgeschriebenen Fotoalben. „Das ist nur für uns. Nicht für die Welt“, meint Anna.
Und was macht das mit uns – als Blogger, als Menschen?
Wenn ich ganz ehrlich bin: Diese Gespräche haben mich irritiert. Und gleichzeitig tief berührt. Denn ich lebe von Sichtbarkeit. Mein Blog ist mein digitales Zuhause, meine Posts sind mein Fenster zur Welt. Ohne digitale Präsenz gäbe es keinen Austausch, keine Reichweite, keine Leser. Aber was passiert, wenn die digitale Identität zur Hauptidentität wird? Wenn wir mehr Zeit mit dem Kuratieren unserer Persönlichkeit verbringen als mit dem Fühlen, Spüren, Staunen?
Diese Menschen zeigen, dass es auch anders geht. Dass man tief verbunden mit sich selbst leben kann, ohne sich in der digitalen Arena zu beweisen. Es ist kein Rückzug, sondern ein Akt der Selbstbestimmung. Eine Einladung zur inneren Ruhe. Und nein – ich werde nicht plötzlich offline gehen. Aber ich habe nach diesen Begegnungen beschlossen, bewusster zu sein. Weniger „schnell posten“. Mehr „lang hinschauen“. Und vielleicht auch mal eine Geschichte nur für mich erleben. Ohne Filter. Ohne Follower. Einfach so.