die Ergebnisse des Zensus, in dem erstmals auch das religiöse Glaubensbekenntnis abgefragt wurde, sind in puncto Muslime nicht aussagekräftig. Also bleibt die bisherige Annahme gültig: Es leben rund vier Millionen Muslime in Deutschland. Doch wie kommt diese Zahl eigentlich zustande und wie haltbar ist sie? Der Mediendienst hat ein Gutachten in Auftrag gegeben. Daraus geht hervor, warum auch diese Zahl hinterfragt werden muss: https://mediendienst-integration.de/artikel/wer-ist-muslim-und-wenn-ja-wie-viele.html
Zentrales Ergebnis 1: Wir wissen nicht wirklich, wie viele Muslime in
Deutschland leben. Die aktuell gültige Hochrechnung basiert nur auf der
Untersuchung eines Teils der möglichen Muslime.
Zentrales Ergebnis 2: Mehr als ein Zehntel (14 Prozent) der gezählten
Muslime gab an, nicht gläubig zu sein. Daher gilt es genau zu beachten, in
welchem Zusammenhang man die Zahl verwendet.
—– Der Mediendienst Integration ist ein Service für Medienschaffende und bietet aktuelle Informationen rund um die Themen Migration, Integration und Asyl in Deutschland. Wir arbeiten eng mit Wissenschaftlern zusammen und vermitteln Kontakte für die Berichterstattung. Auf unserer Internetseite finden Sie einen Überblick über neueste Studien und Statistiken. —–
Die derzeitigen Schätzungen zur Anzahl der Muslime in Deutschland in Frage zu stellen, ohne eine alternative Angabe zu geben, hat kaum Chancen auf Erfolg. Gleichzeitig scheint es notwendig, die Kategorie „Muslim“ in ihrer geradezu inflationären Verwendung zu hinterfragen und sowohl in der Forschung wie auch in Medien, Politik und Verwaltung ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass diese Kategorie lediglich im Kontext religiöser oder identitärer Bezüge eine bedeutungsvolle Aussagekraft entfalten kann. Um das zu erreichen, ist es wichtig, zwischen Menschen mit „muslimischem Hintergrund“ und praktizierenden bzw. gläubigen Muslimen zu unterscheiden. Aus diesem Grund wäre eine aussagekräftige Schätzung praktizierender oder organisierter Muslime für aktuelle Debatten um den Islam in Deutschland dringend notwendig. Das könnte u. a. für Politik und Verwaltungen hilfreich sein, wenn es um die Planung von Religionsunterricht oder Friedhofsplätzen geht, aber auch für die nüchterne Bewertung des Vertretungsanspruchs islamischer Verbände. Diese Zahl sollte durch (nicht an das Kriterium Herkunftsland geknüpfte) Zufallsstichproben und das Kriterium „Selbstdefinition als Muslim“ kombiniert mit einer Befragung zur Bedeutung des Selbstverständnisses als Muslim erhoben werden. Darüber hinaus scheint es sinnvoll, an die Kategorie Muslim geknüpfte Vorstellungen zu hinterfragen, wie die Annahme, dass Muslime in der Regel aus mehrheitlich muslimischen Ländern stammen. Der vermeintlich eindeutigen Bedeutung der Kategorie „Muslim“ ließe sich bspw. mit Reportagen über aus Italien, Spanien oder Litauen eingewanderte oder in Deutschland geborene und verankerte Muslime begegnen.
Die Autorin ist Islamwissenschaftlerin am Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa. 2011 hat Riem Spielhaus ihre Dissertation „Wer ist hier Muslim? – Die Entwicklung eines islamischen Bewusstseins in Deutschland zwischen Selbstidentifikation und Fremdzuschreibung“ veröffentlicht. Kontakt: Riem.Spielhaus@jura.uni-erlangen.de