Die Untersuchung geht daher der Frage nach, von welchen Faktoren es abhängt, dass türkische Migrantinnen patriarchale Strukturen reproduzieren. Dabei stehen die Ehebiographien der türkischen Migrantinnen Ulcay und Jale im Mittelpunkt der Analyse. Beide Frauen wurden per Arrangement bzw. Zwang verheiratet. Ein genauerer Blick auf Heiratsarrangements zeigt, dass die Unterscheide zwischen arrangierten Ehen und Zwangsehen in patriarchalen Kontexten gering sind, denn in beiden stehen großfamiliäre Interessen, nämlich die Ausweitung von Besitz und die Konsolidierung der Familie, und nicht individuelle, im Vordergrund.
Zur Analyse der Reproduktion patriarchaler Strukturen durch türkische Migrantinnen eignen sich insbesondere die Dimensionen Familienkultur, Geschlechtsidentität, Ehe, Religiosität, Gewalt und Bildung. Nach den Ergebnissen der Studie ist die Dimension Geschlechtsidentität entscheidend, denn sowohl Ulcay als auch Jale verfestigen im Laufe ihrer Ehen die Konstruktion der weiblichen passiven Sexualität. Dabei wird die Aufrechterhaltung der passiven Sexualität beider Frauen zu großen Anteilen durch die Mutter bzw. Schwiegermutter kontrolliert, welche sich dadurch innerhalb patriarchaler Familienhierarchien Respekt verschafft und somit zu deren Fortbestehen beiträgt.
Gesellschaftliche interkulturelle Aufklärung und Bildung muss aus diesem Grund berücksichtigen, dass türkische Migrantinnen tendenziell vornehmlich als Mütter bzw. Schwiegermütter einen Beitrag an der Aufrechterhaltung patriarchaler Strukturen leisten. Um der Gefahr der Reduzierung türkischer Frauen auf ihre (zukünftige) Funktion als Mutter entgegenzuwirken, ist es erforderlich, die Rolle von Frauen außerhalb der Familie zu stärken, wobei deren türkische Sprachkompetenz hierbei von unermesslichem Wert ist. In einer durch die deutsche Politik zwischen den 1950er und 1970er Jahren herbeigeführten multikulturellen Gesellschaft, in welcher ein großer Anteil der Bevölkerung türkischstämmig ist, muss sich die Integrationsbereitschaft der deutschen Gesellschaft an der Anerkennung der türkischen Sprache als Medium der interkulturellen Verständigung messen lassen. Dies bedeutet konkret, türkische Sprachkurse in diversen Bildungseinrichtungen flächendeckend anzubieten, so dass die Gesamtgesellschaft an dieser Sprache teilhat. Hierfür sollten vor allem türkische Migrantinnen gezielt als Sprachvermittlerinnen eingesetzt werden.
Das Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft als emanzipiert, macht die Reflexion (fort-)bestehender patriarchaler Praktiken unerlässlich. Dabei finden derartige Auseinandersetzungen zumeist im Hinblick auf die Geschlechterverhältnisse türkischstämmiger und muslimischer Personen statt, was zur Verschleierung gesamtgesellschaftlichen Sexismus beiträgt. Vor dem Hintergrund, dass Frauen in Deutschland aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit diskriminiert werden, indem sie beispielsweise bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit weniger verdienen als Männer, und unter Berücksichtigung der bestehenden Prostitutionsgesetze, muss sich die deutsche Gesellschaft die Kritik der Doppelmoralität gefallen lassen.