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„Klischees finde ich wunderbar!“

Bild: Su Turhan

Er schreibt und inszeniert das Theaterstück „Leben im Sonderangebot“. Danach beginnt Turhan mit dem Studium der Neuen Deutschen Literaturwissenschaft an der LMU München. Um das teure Münchner Leben zu finanzieren, jobbt er zunächst als Gabelstaplerfahrer bei einem Sanitärgroßhandel, später als Studentische Aushilfskraft in der Universitätsbibliothek. Dort betreut er neben Büchern auch die Videosammlung und beschließt Filme zu machen. Er heuert bei der Kirchgruppe im Bereich Filmlektorat und Stoffentwicklung an und liest erst sehr viele fremde Drehbücher, bis er sich gewappnet fühlt, als Drehbuchautor und später als Regisseur tätig zu sein.

Es folgen Drehbücher zu seinen Kurzfilmen „Der Schlüssel“, „Gone Underground“ und „Triell“. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Kurzfilmpreis in Silber, findet er es an der Zeit, selbst einen Spielfilm zu realisieren. Das Liebesdrama „Ayla“ entsteht, erhält internationale Publikumspreise und läuft in Deutschland, der Türkei und Israel in den Kinos. Seit einigen Jahren inszeniert Turhan fiktionale und dokumentarische Filmstoffe und schreibt Drehbücher für verschiedene Produktionsfirmen. U.a. die Märchenfilme „Die Drei Federn“ und „Prinzessin Maleen“.

Mit „Kommissar Pascha: Ein Fall für Zeki Demirbilek“ gibt Turhan Januar 2013 sein Debüt als Kriminalautor. Es folgen Kurzgeschichten und neben anderen Veröffentlichungen weitere Pascha-Romane. 2015 wird der erste Band für die ARD verfilmt, 2016 folgt die Verfilmung von „Bierleichen“.

 

„Klischees finde ich wunderbar!“ Su Turhan vereint in seinem ersten Krimi türkisch-bayerische Lebensart

Döner – Schweinebraten, Moschee – Kirche, Çay – Weißbier: Su Turhan bezeichnet sich selbst als „Wanderer und Grenzgänger zwischen den Welten“. Geboren ist er in Istanbul, aufgewachsen in Straubing. Jetzt lebt er im Herzen Bayerns, in München. Bekannt geworden ist der 47-Jährige, der Neuere Deutsche Literatur studiert hat, als Regisseur und Drehbuchautor. In seinen Filmen spielten prominente Schauspieler wie Katja Flint, Anja Kling oder Florian David Fitz. Vor Kurzem ist sein erster Kriminalroman „Kommissar Pascha“ (Knaur Verlag) erschienen. Darin ermittelt der Deutschtürke Zeki Demirbilek in einer Mordserie, die im Zusammenhang mit einer Dönerkette steht. Stefanie Roth von BIZ HEPIMIZ hat mit Su Turhan gesprochen.

Herr Turhan, die Hauptfigur in Ihrem Roman vereint türkische und bayerische Lebensart. Wie beschreiben Sie Kommissar Pascha? Was ist das Besondere an ihm?

Su Turhan: Für mich ist Zeki eine grundsätzlich gute Haut, der ein großes Herz hat. Pascha heißt er, weil er gerne auch mal andere arbeiten lässt, selbst lieber nachdenkt und Entscheidungen trifft. Im Türkischen gibt es das Wort „Pascha“ in diesem Wortsinne gar nicht, aber im Deutschen. Durch das Vereinen und Vermischen der beiden Welten in ihm entsteht für mich eine besondere Figur. Sie ist normal, weil wir in unserer Gesellschaft nun mal Menschen mit verschiedenen Wurzeln haben, gleichzeitig ist sie auch anders, nicht richtig deutsch, aber auch nicht richtig türkisch.

Zeki Demirbilek fühlt sich erst dann als Absolvent der bayerischen Polizeischule, als er zum ersten Mal in seinem Leben Schweinebraten isst. Sollte man die Sitten und Bräuche eines fremden Landes adaptieren, um besser integriert zu werden?

Turhan: Dieser Charakterzug hat für mich symbolische Bedeutung. Mein Kommissar ist verschroben und unangepasst. Das gilt für seine Arbeit als Kripokommissar und als Privatperson. Er denkt sehr pragmatisch. Ich persönlich bin überhaupt nicht der Ansicht, dass man sich in Gänze anpassen muss. Im Gegenteil. Seine Eigenheiten zu behalten, der Mensch zu bleiben, der man ist, sollte das Ziel sein. Gleichzeitig ist es aber auch sinnvoll, sich die Gepflogenheiten, Sitten und Gebräuche des Landes, in dem man lebt, anzuschauen und für sich zu vereinnahmen. Da rede ich nicht von übermäßiger Anpassung, sondern von einem Miteinander verschiedener Lebensauffassungen und Kulturen. Das hat mit Sozialisation zu tun, weniger mit Integration in bestehende Verhältnisse.

Typisch türkisch, typisch deutsch – mit welchen Klischees spielen Sie in Ihrem Roman?

Turhan: Mit so ziemlich allen! Klischees finde ich wunderbar! Den Deutschen schreibt man ja Ordentlichkeit, Pünktlichkeit, Steifheit zu. Den Türken schreibt man Gastfreundschaft, Herzlichkeit, Unpünktlichkeit zu. Weder das eine noch das stimmt richtig. Ich nehme diese Klischees, spiele im Roman mit ihnen und versuche, sie zu brechen; zum Beispiel mit der Romanfigur Pius Leipold: Er ist ein Urmünchner, der etwas gegen den türkischen Kommissar hat. Doch dann merkt er nach und nach, Zeki ist genau so Münchner wie er, aber eben anders.

Welche Vorurteile gegenüber Türken mögen Sie nicht?

Turhan: Was ich nicht so gern habe, sind Äußerungen über das Aussehen, die gehen nun mal gar nicht. Da kann ich richtig übellaunig werden. Menschen sind unterschiedlich. Basta. Dann ist mir persönlich hie und da passiert, dass Menschen, die mich nicht kannten, davon ausgingen, ich würde nicht vernünftig Deutsch können. Das legt sich in meinem Fall recht schnell. Überhaupt ist das Vorurteil, „der beherrscht Deutsch nicht richtig, also hat er keine Lust, sich hier heimisch zu fühlen“, recht zweischneidig. Natürlich ist das Beherrschen der deutschen Sprache der Schlüssel zu einem guten Miteinander. Dennoch kann ich nicht erwarten, dass Menschen aus der ersten sogenannten Gastarbeitergeneration perfekt Deutsch können. Die Kinder dagegen müssen es meiner Meinung nach. Je mehr Sprachen man beherrscht, desto besser.

Schweinebraten oder Döner – fühlen Sie sich mehr als Deutscher oder mehr als Türke?

Turhan: Das kommt immer drauf an. Wenn ich meine Eltern besuche oder im türkischen Restaurant auf Türkisch Essen bestelle, dann bin ich zu 100 Prozent Türke. Wenn ich dagegen im Wirtshaus sitze, bin ich zu 100 Prozent Deutsch. Dann gibt es Situationen, wo beides gleichzeitig da ist, das Türkische und Deutsche.

Als ich vor einigen Jahren den deutschen Pass bekommen habe, überkam mich eine gewisse Traurigkeit. Ich hätte am liebsten beide Pässe behalten, aber das geht nach deutschem Recht nicht. Was die Sprache betrifft, so habe ich von meinen Eltern Türkisch gelernt. Eine türkische Schule habe ich nie besucht, ich hätte meinen Roman nicht in türkischer Sprache verfassen können. Deutsch habe ich ganz normal gelernt. Beim Spielen, in der Schule.

Sie haben in Straubing Abitur gemacht und in München Deutsche Literatur studiert. Was lesen Sie denn am liebsten?

Turhan: Ich lese Krimis und Thriller rauf und runter. (lacht) Egal, ob deutsche, schwedische oder amerikanische. Für meine eigenen Kriminalromane hat das aber kaum Auswirkungen. Ich versuche, meinen eigenen Schreib- und Erzählstil zu etablieren. Mir ist wichtig, spannend und unterhaltsam zu sein, gleichzeitig Themen anzusprechen, die über das Krimigenre hinausgehen. Ich glaube, dass gute Krimis immer über die Zeit, in der man lebt, Aussagen treffen. Das versuche ich.

Weitere Infos im Internet www.suturhan.de

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