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Zehra Cirak – Der Geruch von Glück

Zehra Cirak

Zehra Cirak

Buchstaben fließen in Zehra Çiraks Gedichten in Gewässern und an den Bäumen hängen beschriebene Blätter. Diese Autorin malt mit der Sprache Bilder in die Welt. Es sind Bilder aus inneren Landschaften, aber immer verwoben mit dem real greifbaren Leben, mit dem Draußen der Welt.

In dem Gedicht „Die Geburt von Europa und dem Stier“ heißt es „Ein Feuerchen brennt/ damals schon und heute wieder/ Europas Sterne kommen nieder“. Wie mit wenigen Pinselstrichen evozieren diese Worte eine mythische Geographie, die sommerleicht ist, wie ein Tag im leuchtenden August.

Und doch gibt es auch die Wehmut, die Topographie der Sehnsucht. Ist es Fernweh? Heimweh vielleicht, aber ein Heimweh nach dem Dasein, nicht nach dem Land der Herkunft, auch wenn dieses Land in ihrem konkreten Leben greifbar ist, etwa wenn sie davon erzählt, dass ihr Vater Sänger war und wenn sie selbst auf Türkisch singt.

„Vom Himmel fielen Buchstaben hernieder
manch einen hat es getroffen
manch anderer fand sich berufen
und machte sich die Arbeit des
Buchstabenauflesens.“

Zehra Çirak ist Dichterin. Bezeichnungen wie „türkisch“ oder „deutsch“, all das ist zu eng für sie, sie ist in der Gesamtheit ein Plural aus beidem. Sie ist 1960 in Istanbul zur Welt gekommen und lebt seit 1963 in Deutschland, seit 1982 in Berlin. 1987 erschien ihr erster Gedichtband, dem gleich mehrere renommierte Auszeichnungen folgten. Seitdem hat sie zahlreiche Preise und Stipendien erhalten und hat ihr dichterisches Werk mit Darstellungen und Performances auf der Grundlage ihrer eigenen Texte erweitert. Letzteres in Zusammenarbeit mit dem vor Inspiration sprudelnden Bildenden Künstler Jürgen Walter, mit dem sie Leben und Werk seit über zwanzig Jahren verbindet.

Erzählungen – »…als greife Zehra Çirak in das Gedächtnis der Menschen mit einer großen Sprachhand hinein und hole dort allerlei noch Ungesehenes hervor.« (Marica Bodrožić, Arte.tv) »Manchmal direkt, konkret und genau, manchmal träumerisch und beobachtend, manchmal privat und betrachtend.« (Georg Patzer, Literaturkritik)

Kara verachtet feste harte Dinge, die sie nicht zwischen ihren Fingern zerkleinern und zerdrücken kann. Kaugummi, Kerzenwachs, selbst Brotkrumen, die sie anfeuchtet und weich in den Fingern rollt und reibt, machen ihr Freude. Am liebsten hat sie Salz- oder Sesamstangen, von denen sie nur kleine Stückchen abknabbert und zwischen ihren Vorderzähnen zerkaut und die sie dann wieder herausnimmt, und, feucht und weich, so lange zwischen ihren Fingern zerdrückt, bis sie kleine Kügelchen oder Würmchen daraus formen kann. Karas Freundschaft mit solchen Dingen ist sehr alt.

Schon als Kind hatte sie mit dem Zupfen und Zwirbeln und Verknoten angefangen. Damals schon rupfte sie kleine Fädchen aus dem Schafsfell heraus, das zu Hause auf dem Sofa des Wohnzimmers lag. Sie zupfte und rieb die Fädchen und machte kleine Knötchen hinein und rupfte die Knötchen auseinander und ließ sie fallen. Kara pflegt ihre Freundschaften mit den Dingen in ihrem Leben sorgfältiger als die mit den Menschen. Auf immer verlorene Dinge, die sie liebte, schmerzen sie mehr als der Verlust von Freunden.

Liebe niemals etwas, woran du zu sehr Erinnerung gebunden hast, denn wenn du es verlierst, ersetzt nichts es jemals vollständig. Aber Freundschaften mit Menschen lassen sich ersetzen, neu finden oder knüpfen wie die Knödel und Knoten ihrer komischen oder lästigen Neigung.

Verlag Hans Schiler

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